Der Zug Eine Kurzgeschichte

(22:48:22) xxxx@jabber.ccc.de: einmal saß ich in jenem zug und einmal stand ich und habe irgendwie zugeschaut

(22:49:36) xxxx@jabber.ccc.de: jedenfalls fährt der zug in irgendeinen bahnhof nahe eines sees ein

(22:50:20) xxxx@jabber.ccc.de: alles sieht sehr verlassen aus und auf dem see ist irgendwie ein boot, aber nachdem der zug anhält und der schaffner ausgestiegen ist, gehen die türen nicht auf und niemand kann aussteigen

(22:50:57) xxxx@jabber.ccc.de: aufeinmal zittert der ganze zug und ich habe das gefühl das alle warum auch immer sterben und dass es in diesem bahnhof immer so ist, nur dem kann ich nicht auf den grund gehen da ich dann immer aufwache.


Die Sonne schien, der See glänzte. In dem leuchtenden Blau des Himmels tummelten sich strahlend weiße Federwolken. Das sanfte Rütteln des Zuges war angenehm und die klare Luft ließ aufkommenden Gedanken Raum zum fliegen.

Ein sanfter Luftzug strich über mein Gesicht und ließ mich blinzeln. Ich wachte langsam auf und streckte mich in dem überaus bequemen Sitz des Abteils. Die Sonne schien durch die samtenen grünen Vorhänge und tauchte den kleinen Raum in Licht. Ich blickte mich um und entschied mich dafür, mir etwas die Füße zu vertreten und betrat den Gang. Die Aussichten, die sich mir dort boten, waren atemberaubend und ich ließ mich nur zu leicht von ihnen umspinnen, einhüllen, gefangen nehmen. Ich verlor mich in ihnen. Lange Zeit blieb ich so am Fenster stehen und staunte über alles, was sich mir bot. Es schien alles viel zu schön um wahr zu sein. Meine Hände fanden sich an den Griffen der Fenster wieder, klappten sie herunter und tauchten in den Fahrtwind. Es war ein irrwitziges Gefühl. Die Sonne schien auf meine Haut, der Wind wehte durch meine Haare, wild, unzähmbar und leidenschaftlich. Und mein Herz schlug freudig im Takt all dessen.

Wir passierten eine Weiche und langsam wurde der Fahrtwind kalt. Ich zog meine Hand wieder herein und schob das Fenster zu. Als ich mich umdrehte und den Gang entlang sah hatte sich irgendetwas verändert. Es muss ein winziges Detail gewesen sein, denn es war nicht zu erkennen was es war, es war nur anders, nicht mehr so schön. Auch allen anderen Gästen schien es aufgefallen zu sein. Sie sahen sich ratlos um, fanden nichts. Schließlich gaben sie es auf und widmeten sich wieder ihren vorhergehenden Beschäftigungen. Dann meldete sich eine Stimme über die Lautsprecher des Waggons. "In wenigen Minuten erreichen wir den nächsten Bahnhof."

Es gab einen Moment kurzer Stille und dann überkam mich ein ungutes Gefühl. Niemand hatte gesagt, welchen Bahnhof wir anfahren würden, oder auf welcher Seite wir aussteigen sollten und schleichend wurde mir bewusst, dass ich keine Ahnung hatte, in welche Richtung ich überhaupt fuhr. Das Rattern des Zuges wurde unangenehm laut und schien sich nun auf alles zu übertragen. Als erstes ruckelten die Schrauben im Boden, dann langsam die Türen der Abteile, die Fenster klapperten blechern und schließlich bebten die Vorhänge mit dem ganzen Zug. Der Bahnhof kam langsam in Sicht und mit ihm eine Gewissheit, die sich unaufhaltsam in mein Bewusstsein fraß. Sobald wir den Bahnhof erreichten, würden wir sterben. Ich weiß nicht, woher sie kam, warum und wieso es niemandem sonst aufzugehen schien. Ich weiß nur, dass sie plötzlich und klar umrissen vor mir stand, wie eine wahrhaftige Gestalt in den dunkelsten Farben, die sich ein Mensch im Stande ist vorzustellen.

Der Zug hielt, ganz vorn stieg der Schaffner aus, die Türen schlossen sich wieder. Niemand hatte den Zug verlassen können, wir waren gefangen. So kräftig auch an den Hebeln gezogen wurde, es rührte sich nichts. Doch das Zittern setzte wieder ein, verstärkte sich, ergriff die Menschen in dem Zug. Sie bebten, wurden kreideblass und plötzlich schien alles ganz unwirklich, wie in einem Kinderspiel. Legomännchen waren es, die dort umkippten wie Domino-Steine, keine Menschen mehr. Mein Körper wurde von dem Zittern ergriffen, es rüttelte an Armen und Beinen, setzte sich weiter fort, zum Kopf, dem Torso, nach innen. Ein letzter Blick fiel auf den See, der noch immer schillernd und glitzernd in der Sonne lag. Darauf schwamm ein Boot, auf dem auch Menschen waren, Pärchen, die lachten und in der Sonne auf den Wellen glücklich dahin glitten.

Mein Herz krampfte, zog sich unangenehm zusammen. Es krümmte sich vor Schmerz und zerriss schließlich.

An diesem Bahnhof passiert immer das gleiche. Eine falsche Abbiegung führte all diese armen Seelen hierher. Wohin ich wollte? Glück, Geborgenheit, Liebe.

Ich hab es bisher nie erreicht, aber den Bahnhof kenne ich mittlerweile schon. Und doch weiß ich bis kurz vor der Ankunft nicht, dass er es ist und jedes Mal, wieder, tut es weh.

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Wir waren nie Freunde
Buchrezension, Märkische Oderzeitung, 2007

Freunde - Für Kim ist dieser Begriff schwer zu definieren. Er hat zwar ein paar Menschen, die er so nennt, aber eigentlich ist er nur mit ihnen zusammen, weil er in Tove verliebt ist und auch die anderen wollen ihn nicht wirklich akzeptieren. Kim ist anders und das lassen sie ihn von Zeit zu Zeit spüren, bis es unter dem Einfluss von Drogen und Alkohol mitten in einem verlassenen Wald schließlich zu Eskalation kommt. "Wir waren nie Freunde" ist ein Roman von Stefan Casta über Gewalt, Freundschaft und Liebe. In einer ungewöhnlich ruhigen Art erzählt, ist die Handlung anfangs etwas langatmig und nichts sagend. Dafür schockiert der Mittelteil und Höhepunkt des Buches umso mehr. Es ist eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt. Es ist die Geschichte eines Jungen und wie er mit der Gewalt seiner Freunde ihm gegenüber umgeht.

Das Buch ist beim Fischerverlag unter der ISBN 3596807220 erschienen.

2013/04/16

Textbeispiele

Diese zwei Texte stellen einen kleinen aber feinen Ausschnitt meiner schriftlichen Arbeiten dar.